„20 JAHRE ORTSGESPRÄCH – 125 JAHRE SPD IN WINKEL“
SPD Oestrich Winkel feierte 125jähriges Bestehen
Eine beeindruckende Ausstellung hatte die Oestrich-Winkeler SPD aus Anlass der Feier ihres 125jährigen Bestehens zusammengestellt. Historische Wahlplakate wie „Samstags gehört Vati mir“, „Nie wieder Krieg – darum verhandeln“, „Gleiche Rechte – Gleiche Pflichten“. Aber auch betreten machende Dokumente wie der Brief eines Vaters aus dem Konzentrationslager Dachau an seinen Sohn waren zu sehen. Einige Dokumente aus der traditionsreichen Geschichte der SPD machten deutlich, dass der Einsatz für die Sozialdemokratie häufig sogar mit dem Leben bezahlt werden musste.
Beim Betrachten der Oestrich-Winkeler Wahlwerbung, beginnend ab 1956, hat sich mancher Besucher wiederentdeckt, sei es bei den Feiern zur Stadtgründung im Jahr 1972, dem Waldbegang von 1974, bei Richtfesten oder bei Empfängen für wichtige Persönlichkeiten. Natürlich regte das zu Gesprächen mit „Dabei gewesenen“ an. Zu lesen waren auch Anforderungen der SPD Hallgarten im Jahr 1960 an ihren Bürgermeister. Die SPD wollte „einen Verwaltungsfachmann“ und einen „positiven katholischen Christen“. Auch bei einigen Wahl-Flugblättern in Gedichtform konnten sich die Besucher nicht immer das Schmunzeln verkneifen.
Nach einem zündenden musikalische Auftakt durch die Stadtkapelle Oestrich-Winkel begrüßte der SPD-Ortsvereinsvorsitzende Udo Lutz alle Gäste, insbesondere den SPD-Landratskandidaten Burkhard Albers, den früheren Bürgermeister und Landrat Klaus Frietsch, die SPD-Landtagsabgeordnete Christel Hoffmann, Bürgermeister Paul Weimann und die CDU-Repräsentanten Orth und Steinmetz. Bürgermeister Weimann betonte „ich bin wie Sie der Meinung, dass man bei aller Härte in der sachlichen Auseinandersetzung heute die Verbundenheit der Parteien hervorheben sollte.“ Er überreichte eine Glückwunschurkunde und einen Scheck nach den Vereinsförderrichtlinien. Der SPD-Landratskandidat Burkhard Albers verband in seinen Ausführungen die aktuelle politische Situation mit den historischen Ereignissen der SPD-Geschichte aus 140 Jahren. „Die SPD ist nie tot zu kriegen gewesen, sie war, ist und bleibt die Partei der sozialen Gerechtigkeit, der Freiheit und der Gleichberechtigung.“ Als Erben von Willy Brandt müssten alle SPD-Vertreter dafür sorgen, dass in Deutschland keine amerikanischen Verhältnisse einziehen. Die SPD sei ein nötiges Korrektiv gegenüber Auswüchsen des Manchester-Kapitalismus. Auch Oestrich-Winkel sei es in 125 Jahren gut bekommen, dass hier Genossinnen und Genossen für ihre Ideale eingetreten seien.
Wie es sich als bekennender Sozialdemokrat in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts leben und leiden ließ, machten zwei Urgesteine der Rheingauer Sozialdemokratie, Gustav Geiger und Hans Klein, in einem videogefilmten Gespräch deutlich. Als junges SPD-Mitglied hatte es Gustav Geiger sehr schwer, er wurde angefeindet, von Nationalsozialisten überfallen und geschlagen. Gustav Geiger und nach dem Kriege auch Hans Klein haben sich, vielen und recht unterschiedlichen Widrigkeiten zum Trotz, in ihrem Engagement für ihre Partei und für andere nie abbringen lassen.
Hans Klein schilderte detailfreudig und humorvoll die Aktivitäten um einen von Labonte nicht für möglich gehaltenen Sportplatz in Johannisberg und wie es der SPD durch persönlichen Einsatz gelang, die bis dahin festzementierten CDU-Mehrheiten fast umzudrehen. Das konnte auch als Appell verstanden werden, immer das Ohr am Bürger zu haben und sich beharrlich für die Erreichung von Zielen einzusetzen.
Das Ergebnis seiner sehr tiefgehenden Recherchen in historischen Quellen zur Geschichte der frühen Arbeiterbewegung im Rheingau“ präsentierte der Historiker Walter Hell. Sein Vortrag erschloss bisher nicht bekannte Geschehnisse und Persönlichkeiten der frühen Parteigeschichte. Deshalb haben wir in diesem „Ortsgespräch“ den 1. Teil des Vortrages auf Seite 1 abgedruckt. Wir werden in der nächsten Ausgabe des „Ortsgespräch“ den 2. Teil abdrucken.
Zum Abschluss der Jubiläumsfeier zeigte Hans Schwarz „Winkel in alten Ansichten“. Die spontanen Meinungsäußerungen und Bemerkungen der Betrachter beim Wiedererkennen von früheren, vertrauten Ansichten machten deutlich, wie sich vor allem die älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger von den Bildern angesprochen fühlten. Sie zeigten auch, wie sich Winkel in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat.
Wir von der SPD Oestrich-Winkel bedanken uns bei allen, die durch die Bereitstellung von Fotos, Unterlagen, durch Mithilfe vor und hinter den Kulissen, durch ihre Reden und durch ihren Besuch zum Gelingen unserer Jubiläumsfeier beigetragen haben!!!
Reaktionen aus der Presse:
Eintracht der Parteien: zum 125jährigen Jubiläum des Oestrich-Winkeler
SPD-Ortsvereins gratulierte CDU-Bürgermeister Paul Weimann (Mitte) Udo Lutz (links) und Heinz-Dieter Mielke (rechts).
(Rheingau Echo vom 18.11.04)
Winkel. (sm) – Als wäre vor ihm gerade Helmut Schmidt zur Tür hereingekommen, so schien es am Sonntag dem Besucher der Brentanoscheune. Auf einem Tischchen am Eingang, neben Fragebögen zur Geschichte der SPD, lag die berühmte Prinz-Heinrich Mütze, „Markenzeichen“ des Alt-Bundeskanzlers. An den Wänden prangten Plakate aus mehr als einem Jahrhundert SPD-Parteientwicklung, Büchertische und Stellwände boten Information zur bewegten und bewegenden Geschichte der ältesten Partei Deutschlands. Anlass für die attraktive Ausstellung war die Feierstunde zum 125jährigen Bestehen des SPD-Ortsvereins Oestrich-Winkel, zu der sich außer Parteivertretern viele Gäste eingefunden hatten, und die neben etlichen Reden und Grußworten auch einen Vortrag des Winkeler Historikers Walter Hell zum Thema „Der Rheingau in der frühen Arbeiterbewegung“ sowie ein Interview mit Zeitzeugen bot. Die Anregung des SPD-Ortsvereinsvorsitzenden Udo Lutz die Ausstellung „wandern“ zu lassen, beispielsweise durch Schulen, wurde von seinen Parteikollegen mit Beifall aufgenommen. Für eine musikalische Umrahmung der Feierstunde sorgte die Stadtkapelle Oestrich- Winkel.
Heinz-Dieter Mielke, Fraktionsvorsitzender der SPD Oestrich-Winkel, führte durch das Programm. Nach einer kurzen Begrüßung durch Udo Lutz, ergriff Bürgermeister Paul Weimann das Wort. „Liebe Freunde von der SPD“, begann er lächelnd und fuhr fort: „Das ist ernst gemeint, ich habe mich gefreut über die Einladung, und ich bin wie Sie der Meinung, dass man bei aller Härte in der sachlichen Auseinandersetzung heute die Verbundenheit der Parteien hervorheben sollte.“ Weimann gratulierte dem Ortsverein und der ganzen Partei zu ihrem Jubiläum und erinnerte an die Zeiten, in denen Menschen wegen ihrer politischen Ansichten verfolgt wurden. Aber auch die Nachkriegszeit, eine trotz aller Entbehrungen spannende und konstruktive Epoche, rief er in Erinnerung. Damals standen sich Konrad Adenauer und Kurt Schumacher kontrovers gegenüber, und trotzdem seien sich die großen Parteien zu dieser Zeit näher gewesen als heute.
Nach einem Grußwort von Andreas Orth, dem Vorsitzenden des CDU- Stadtverbandes, trat der Erste Kreisbeigeordnete und SPD- Landratskandidat Burkhard Albers ans Mikrofon. Er zitierte den CDU- Finanzexperten Hans Michelbach, für den die von der Bundesregierung geplante Abschaffung – oder besser: Verlegung – des Nationalfeiertages zeigt, „welch‘ geschichts- und vaterlandslose Gesellen Deutschland regierten“. „Damit schließt sich ein Kreis“, kommentierte Albers, „denn schließlich wird mit diesem Begriff seit 135 Jahren gegen die SPD gewettert.“ Seit den 1860er Jahren ginge die Arbeiterbewegung in Deutschland eigenständige, vom Bürgertum getrennte Wege. Als „vierter Stand“ wurden ihre Vertreter aus der etablierten Gesellschaft des Bismarck’schen Kaiserreiches ausgegrenzt und mit Hilfe der Sozialistengesetze verfolgt. Doch die SPD sei nie tot zu kriegen gewesen, sie „war, ist und bleibt die Partei der sozialen Gerechtigkeit, der Freiheit und der Gleichberechtigung“. Die „soziale Gerechtigkeit“ der SPD würde zwar heute, besonders angesichts Hartz IV, häufig in Abrede gestellt, doch wo stünde Deutschland jetzt, wenn die Sozialdemokraten 1998 nicht die Regierung übernommen hätten, fragte Albers, und gab selbst die Antwort: „In CDU und FDP und vor allem im Arbeitgeberlager würden Manchester-Kapitalisten bei der Gestaltung der Politik mitwirken, Vertreter eines ungehemmten Kapitalismus, deren Forderungen in Richtung 48-Stunden-Woche, Samstag-Arbeit, Streichung von Urlaubs- und Feiertagen sowie willkürlicher Kündigungen geht.“ Als Erben von Willy Brandt müssten alle SPD-Vertreter dafür sorgen, dass in Deutschland keine amerikanischen Verhältnisse einziehen. Die deutsche Geschichte der vergangenen 145 Jahre habe gezeigt, dass die SPD als korrigierendes Regulativ gebraucht werde, und auch Oestrich-Winkel sei es in 125 Jahren gut bekommen, dass hier Genossinnen und Genossen für ihre Ideale eingetreten seien.
Im Anschluss an die Rede Albers‘ konnten die Gäste ein filmisch festgehaltenes Interview mit zwei betagten Zeitzeugen der SPD- Geschichte im Rheingau erleben. In dem von Dr. Christoph Zehler geführten Gespräch äußern sich Gustav Geiger aus Geisenheim und Hans Klein aus Johannisberg über eine Zeit, in der sie es als junge SPD- Mitglieder schwer hatten, in der sie angefeindet, von Nationalsozialisten überfallen und geschlagen wurden und dennoch ihren Idealen treu blieben. „Sie haben im Kleinen gewirkt, nie danach gefragt, was sie für ihr Engagement erhalten, und dafür gebührt ihnen der Dank der Partei“, unterstrich Albers. Die Geschichte der Arbeiterbewegung im Rheingau war auch Inhalt des Vortrags von Walter Hell. Er erinnerte an den Beginn der Industrialisierung in dem bis dahin rein agrarisch geprägten Rheingau. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde in Johannisberg die Maschinenfabrik gegründet, 1856 die von hart schuftenden Arbeitern fertiggestellte Eisenbahnstrecke Wiesbaden- Rüdesheim eröffnet und 1861 die chemische Fabrik Koepp ins Leben gerufen. Dadurch begann sich auch im Rheingau eine Industriearbeiterschaft politisch und ökonomisch zu organisieren. Der 1863 unter Ferdinand Lasalle gegründete „Allgemeine Deutsche Arbeiterverein“ unterhielt ab 1867 auch einen Zweigverein in Wiesbaden; im September 1869 weilte Karl Marx für kurze Zeit in Mainz und machte auch einen Abstecher nach Wiesbaden. Im Rheingau waren ab 1847 Turnvereine entstanden, die sich republikanischen Ideen verpflichtet fühlten. Am ersten Kongress der Demokraten 1848 in Frankfurt am Main nahm auch ein Vertreter aus Geisenheim teil. Demokratische Vereine entstanden auch in Rüdesheim und wahrscheinlich in Winkel. Dort wurde auch ein Jahr später mit der Herausgabe des „Rheingauer Volksboten“ begonnen. „Es gab sogar ein weibliches Pendant dazu, die ‚Volksbötin'“, bemerkte Hell, „keine übliche Frauenzeitschrift, sondern ein hochpolitisches Blatt.“ Ein herausragender Vertreter der hessischen Arbeiterbewegung war Paul Stumpf (1826-1912); zu den weiteren Persönlichkeiten dieser Zeit gehören der radikale Mainzer Jakobinerführer Andreas Hofmann, der von zirka 1803 bis zu seinem Tod 1849 in Winkel lebte, sowie sein Schüler Adam von Itzstein. 1869 wurde in Eisenach die SDAP gegründet, unter Mitwirkung des in Kaub geborenen Adeligen Leonhard von Bornhorst. Die SDAP hatte Mitglieder in Wiesbaden, Erbach und auch in Winkel und Mittelheim.
Im deutschen Kaiserreich konnte ein Engagement für die Arbeiterbewegung durchaus zur Ausgrenzung und Existenzbedrohung werden. Der in Winkel wohnhafte Johann Michael Hirsch, der Wiesbaden und die Rheingauer Orte beim Kongreß der SDAP 1870 in Stuttgart vertrat, und der schon als Kind am Webstuhl das Arbeiterelend kennen gelernt hatte, kam in den „Genuss“ von mehreren Monaten Haft, weil er sozialdemokratische Liederbücher herausgegeben hatte. Und zwei Arbeiter der Maschinenfabrik Johannisberg wurden 1878 aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der sozialdemokratischen Partei entlassen.
Der Vortrag von Walter Hell wird in Kürze in der Informationszeitschrift der Oestrich-Winkeler SPD, dem „Ortsgespräch“, veröffentlicht. Außerdem erwägt man, die gesamte Ausstellung – allein die Plakate aus zwölf Jahrzehnten, zu den Themen, Wahl, gegen Nationalsozialisten und Rechtsradikalismus, 1. Mai, Arbeits- und Frauenrechte, sind sehenswert – auch an anderen Orten zu zeigen.