In der letzten Sitzung der Stadtverordnetenversammlung stand die Abstimmung über das Verfahren zur Weiterentwicklung der ehemaligen Rabanus-Maurus-Schule auf der Tagesordnung. Gegen die Stimmen der SPD wurde beschlossen, dass zukünftig nicht wie im Parlamentsbetrieb üblich und aus Gründen der Transparenz bei einem für die Stadtentwicklung so wichtigen Projekt geboten die Stadtverordnetenversammlung, sondern nur der aus lediglich sieben Stadtverordneten bestehende Ausschuss Umwelt, Planen und Bauen einen Großteil der Beschlüsse beraten und abschließend entscheiden soll.
Dem nicht genug, beantragten und beschlossen CDU und FDP in der Sitzung mit ihrer Mehrheit spontan, dieses fragwürdige Verfahren auch für die Entwicklung des Baugebiets „Fuchshöhl“ anzuwenden. Diese Ausweitung des Beschlusses steht nach Auffassung der SPD-Fraktion, bestätigt durch eine juristische Prüfung, im Widerspruch zur Geschäftsordnung der Stadtverordnetenversammlung und der Hessischen Gemeindeordnung. Denn auf der Tagesordnung stand lediglich die Beratung über das Gelände der Rabanus-Maurus-Schule, nicht jedoch über das Baugebiet Fuchshöhl. Damit wäre eine Beschlussfassung zur Fuchshöhl nur zulässig gewesen, wenn die Aufnahme in die Tagesordnung mit einer 2/3-Mehrheit zu Beginn der Sitzung beschlossen worden wäre. Da dies nicht geschehen ist, war eine Beschlussfassung dazu nicht rechtens. Weder der Stadtverordnetenvorsteher noch der Bürgermeister, der die Pflicht zur Beanstandung dieser rechtswidrigen Entscheidung gehabt hätte, haben erkennbar etwas unternommen, um diesen Fehler zu heilen und Rechtssicherheit zu schaffen.
„Wir fragen uns schon, warum demokratische Rechte einzelner Stadtverordneten ohne CDU- und FDP-Parteibuch in dieser Wahlperiode zum wiederholten Mal missachtet werden“, so SPD-Fraktionsvorsitzender Carsten Sinß. „Wenn es zukünftig zur Regel wird, Vorlagen beliebig zu erweitern, braucht es auch keine Tagesordnung und keine Vorlagen mehr, weil die schwarz-gelbe Mehrheit ohnehin beschließen kann, was ihr gerade in den Sinn kommt. Die anderen, nicht informierten Stadtverordneten, können sich dann nicht vorher informieren und sachbezogen beraten – sie werden zu Statisten“, so Sinß.
Es ist nach Auffassung der SPD nun nicht auszuschließen, dass das baurechtliche Verfahren Fuchshöhl rechtlich angreifbar ist, wenn Verfahrensmängel festgestellt werden. „Das wollen wir nicht. Nach als zwei Jahrzehnten, die schon über das Baugebiet Fuchshöhl diskutiert wird, sollte Sorgfalt und Rechtmäßigkeit vor Schnelligkeit gehen. Nach den bisherigen Planungen und den Vergabekriterien von CDU/FDP werden ohnehin nur eine Handvoll Oestrich-Winkeler Familien dem Traum vom kleinen Häuschen im Grünen verwirklichen können“, so Sinß.
Er kündigt an, dass die Stadträte der SPD deshalb in der nächsten Sitzung des Magistrats den ihres Erachtens zu Unrecht zustande gekommenen Beschluss zum Thema machen werden. Denn nach den Regelungen der Hessischen Gemeindeordnung müsste der Bürgermeister innerhalb von zwei Wochen Widerspruch gegen den Beschluss einlegen; unterlässt er dies, wäre der Magistrat zur Beanstandung des Beschlusses verpflichtet.
Die SPD appelliert deshalb an alle Betroffenen, es im weiteren Ablauf der Beratung „Fuchshöhl“ auch aus Gründen der Verfahrenssicherheit bei der bislang üblichen Verfahrensweise, nämlich ausführliche Beratung in den Ausschüssen unter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger und Beschlussfassung durch die Stadtverordneten, zu belassen. Beides schließt sich nicht aus. Die SPD wiederholt ihr Angebot, erforderlichenfalls zusätzliche Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung in 2018 vorzusehen, um eine Verzögerung der Planung zu verhindern, die ohnehin schon hinter den Ankündigungen von CDU, FDP und dem Bürgermeister zurückliegen.
Die SPD weist auch darauf hin, dass im weiteren Verlauf Entscheidungen mit finanzieller Tragweite beschlossen werden müssen, weshalb schon deshalb eine Verweisung nur an den Ausschuss Umwelt, Planen und Bauen der Bedeutung der Angelegenheit nicht gerecht wird.
Rechtsauskunft zu der Frage der SPD-Fraktion Oestrich-Winkel zur Behandlung eines Antrags zu einem anderen Thema als auf der Tagesordnung angegeben
Maßgeblich sind § 58 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 HGO, § 12 Abs. 6 und § 21 der Geschäftsordnung (GO). § 58 Abs. 1 und 2 HGO lautet (Unterstreichungen vom Verfasser):
„(1) 1Der Vorsitzende beruft die Gemeindevertreter zu den Sitzungen der Gemeindevertretung schriftlich oder elektronisch unter Angabe der Gegenstände der Verhandlung. 2Zwischen dem Zugang der Ladung und dem Sitzungstag müssen mindestens drei Tage liegen. 3In eiligen Fällen kann der Vorsitzende die Ladungsfrist abkürzen, jedoch muss die Ladung spätestens am Tage vor der Sitzung zugehen. 4Hierauf muss in der Einberufung ausdrücklich hingewiesen werden. 5Im Falle des § 53 Abs. 2 muss die Ladungsfrist mindestens einen Tag betragen.
(2) Über Angelegenheiten, die nicht auf der Einladung zu der Sitzung verzeichnet sind, kann nur verhandelt und beschlossen werden, wenn zwei Drittel der gesetzlichen Zahl der Gemeindevertreter dem zustimmen.“
Gegenstand der Verhandlung ist vorliegend die planungsrechtliche Zukunft der ehemaligen Rabanus-Maurus-Schule: Dies geht aus der Tagesordnung und dem vorgelegten Antrag hierzu klar hervor. Hierauf haben sich die Stadtverordneten und die Fraktionen in ihren Beratungen beschränkt und (im Idealfall) eine Meinung gebildet. Sinn und Zweck der genannten Vorschriften in der HGO (und dies abbildend auch der GO) ist die Erkennbarmachung der Sachverhalte, die zur Beratung anstehen, um eine angemessene Vorbereitung zu gewährleisten (Bennemann/Teschke, in: KVR Hessen, HGO, § 58 Rz 7; Schmidt, in: Rauber, Rupp u. a., HGO, § 58 Erl. 1 (S. 362)).
Bei der Beschlussfassung unter Ziffer 4 der Niederschrift (Verfahren ehemalige Schule im vereinfachten B-Plan) lässt sich vertreten, dass dies noch zu dem genannten Gegenstand gehört, da lediglich das beschlossene Verfahren in den Beratungen geändert worden ist; ein solcher Initiativantrag ist zulässig.
Anders verhält es sich bei dem unter Ziffer 3 gefassten Beschluss zum B-Plan Fuchshöhl: Dieses Gebiet stand nicht auf der Tagesordnung und stellt demnach keinen Gegenstand der Verhandlung im Sinne der genannten Norm dar. Folglich wäre zur Abstimmung zu stellen gewesen, dieses Thema als „Angelegenheit, die nicht auf der Einladung stand“ gemäß § 58 Abs. 2 HGO mit der Mehrheit von 2/3 der gesetzlichen Anzahl der Stadtverordneten auf die TO zu nehmen (s. hierzu Adrian, Geschäftsordnungen für Gemeindevertretungen…, § 12 GOG Erl. 11, beigefügt als Anlage).
Der Beschluss zu Ziffer 3 begegnet folglich rechtlichen Bedenken, da das dort behandelte Thema (das Planungsgebiet) nicht auf der Tagesordnung stand und auch nicht als neuer TOP durch einen entsprechenden Beschluss nach § 58 Abs. 2 HGO aufgenommen worden ist. Die Beschlussfassung war deshalb unzulässig (s. Sommer, in: KVR, HKO, § 32 Erl. 8.2.2, s. Anlage). Nach den Regelungen der HGO müsste der Bürgermeister insoweit gegen den Beschluss Widerspruch nach § 63 Abs. 1 S. 1 HGO einlegen; unterlässt er dies, wäre der Magistrat nach § 63 Abs. 4 S. 1 HGO zur Beanstandung des Beschlusses verpflichtet (Bennemann a.a.O. § 63 Rz 12 unter ausdrücklicher Nennung von § 58 HGO).